Die Selbstüberschätzung kostet uns Rendite. 80% halten sich für überdurchschnittlich – in Kanada sogar alle…

80% der Autofahrer halten sich für überdurchschnittlich – in Kanada sogar alle. Dies ist doch ein gutes Beispiel für Selbstüberschätzung.

An der 100%-Statistik aus Kanada habe ich definitiv meine Zweifel. 80% überdurchschnittliche Autofahrer wären allerdings mit einer mathematische Spitzfindigkeit durchaus möglich: Stellen wir uns vor die Fähigkeit wird auf einer Skala von 0 bis 10 gemessen. Sagen wir, es schätzen sich 80 von 100 auf 9 ein und 20 von 100 auf 1. Der Durchschnitt (im Sinne des Mittelwerts) wäre dann (80*9 + 20*1)/100 = 7,4.

Mit der Einschätzung auf 9 wären damit 80% überdurchschnittlich. Geht nicht, gibt’s nicht.

Mittels der Verhaltensökonomie (Behavioral Finance) werden irrationale Verhaltensmuster von Anleger untersucht. Die Verhaltensmuster waren in der menschlichen Geschichte oft von Vorteil und haben das Überleben gesichert. Für einen Anleger führen sie aber leider oft zu irrationalen Entscheidungen.

Hier ein Überblick über die Verhaltensmuster:

  • Overconfidence – Selbstüberschätzung
  • Recency – Die jüngste Vergangenheit zu weit fortschreiben
  • Mental Accounting – fehlende Gesamtsicht
  • Loss Aversion – Verlustaversion
  • Herding – Herdenverhalten
  • Overreaction – Übertreibung
  • Hyperbolic Discounting – zeitinkonsistente Diskontierung
  • Regret – Die Furcht zu bereuen
  • Anchoring and Adjustment – Ankerpunkte beeinflussen
  • Home Bias – Der Heimatmarkt wird übergewichtet

Quelle: http://www.anlegercampus.net/geld-anlegen-ohne-wetten/1-fehler-erkennen-fehler-abstellen-ein-ueberblick/behavioral-finance-die-wichtigsten-psychologischen-fallen/

Heute widmen wir uns der Selbstüberschätzung.

Der Mensch tendiert zur Selbstüberschätzung

Bist du ein überdurchschnittlicher Anleger? In einer Gruppe von aktiv handelnden Anlegern würde diese Frage sicherlich vermehrt mit „Ja“ beantwortet werden. Vermutlich wird es in der Gesamtgruppe eine Tendenz zur Selbstüberschätzung geben (müssen).

Wäre es möglich, dass 80% überdurchschnittliche Anleger wären? Grundsätzlich ja, wie wir oben gesehen haben. Nur müssten dann die bedauernswerten 20% die Zeche zahlen. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Gruppe schnell die Lust und auch die Mittel verlieren würde, um das durchzuhalten.

Leider kann die Rechnung auch andersherum aussehen. 80% sind unterdurchschnittlich und 20% sind über dem Schnitt. Also, ein kleiner Teil von Gewinnern sammelt bei einer großen Anzahl von Verlierern ein. Ich persönlich fürchte, dass diese Variante näher an der Realität ist…

Gehen wir mal davon aus, dass die Börsenwelt einigermaßen gerecht ist und 50% überdurchschnittlich und 50% unterdurchschnittlich sind. Damit hat jeder aktive Anleger statistisch eine Wahrscheinlichkeit von 50% zu der Gruppe der überdurchschnittlichen Anleger zu gehören. Vor Kosten versteht sich.

Nach Kosten sieht die Sache allerdings anders aus. Stellen wir uns vor, der Markt hat eine durchschnittliche Rendite von 7%. Die durchschnittlichen Kosten für aktives Handeln setzen wir bei 1,5% an. Um den Markt zu schlagen, muss ein aktiver Anleger in diesem Beispiel mehr als 1,5% Mehrrendite zum Markt erwirtschaften, um nach Kosten bei über 7% zu liegen. Bei einer Rendite von 9% liegt der aktive Anleger damit nach Kosten bei 7,5% (9% Rendite – 1,5% Kosten).

Da der Markt insgesamt nur 7% durchschnittlich erwirtschaftet, muss (rein statistisch) ein anderer aktiver Anleger eine unterdurchschnittliche Rendite von 5% vor Kosten erwirtschaften. Denn die Anleger sind der Markt und irgendjemand muss die Überdurchschnittlichen ja bezahlen…

Nach Kosten wären das dann sogar nur 3,5% Rendite für den „Verlierer“-Anleger.

Zum Glück trifft es aber immer die anderen…

Ein aktiver Anleger bewegt sich daher in einem Umfeld in dem der Erwartungswert nach Kosten nicht attraktiv ist. Um eine langfristige Mehrrendite zu erwirtschaften, muss ich als aktiver Anleger über einen langen Zeitraum zu den Top-Performern gehören.

Wenn ich als Privatanleger Teil des Marktes bin und mich mit Profis messe, muss ich schon ein sehr gutes Talent haben, um mich in diesem Spiel an die Spitze zu setzen. Denn da muss ich hin, um überhaupt eine Chance auf Mehrrendite zu haben.

Mir ist das zu anstrengend. Ich bin mir sicher, dass ich mich selbst wahrscheinlich talentierter einschätzen würde als ich am Ende dann wirklich bin. Selbstüberschätzung ist ein sehr menschliches Verhalten.

Die Alternative für Anleger

Ich habe mich daher für die bequeme Variante entschieden. Eine Variante, bei der ich mathematisch überdurchschnittlich bin und empirisch sogar unter dem besten Fünftel der Anleger lande. Ich werde nie ganz oben sein, aber frei nach Pareto ist mir das auch viel zu aufwendig und der Erfolg ist höchst unsicher.

Selbstüberschätzung kostet Rendite. Über einen langen Zeitraum erwirtschaftet der passive Anleger eine überdurchschnittliche Rendite.
Über die Zeit erwirtschaften die meisten Anleger nach Kosten weniger Rendite als der Markt. Wer also die Marktrendite erwirtschaftet, wird relativ zu den anderen Anlegern überdurchschnittliche Renditen erwirtschaften.

Die Analogie beim Fussball wäre ein talentfreier Hobbyfussballer, der die Möglichkeit hat mit einer sehr großen Wahrscheinlichkeit in der Champions League zu spielen, auch wenn er nicht Meister werden kann. Er wird aber ganz sicher nicht absteigen und wird nie etwas mit dem Abstieg zu tun haben. Also, ein wenig das Leverkusen der Börse…

Wie ich das mache? Ich investiere prognosefrei in einen langweiligen, kostengünstigen, breitgestreuten Brot- und Butter Welt-ETF. Nix was für Gesprächsstoff auf einer Party taugt, aber dafür sorgt, dass ich auch noch im Ruhestand auf Partys gehen kann – wenn ich denn will.

Fazit

Die Börse ist der einzig mir bekannte Ort wo mit Passivität und einer durchschnittlichen Leistung über einen langen Zeitraum überdurchschnittliche Ergebnisse erzielt werden. Die Talente, die man dafür braucht, sind Durchhaltevermögen und gute Nerven. Wie bei einem Marathon, da zwickt es zwischendurch auch mal ganz schön. Wie heißt es so schön in der Läufersprache: „Steady Pace Wins the Race“. Das gilt auch an der Börse: Bevor mir durch Selbstüberschätzung die Puste mitten im Rennen ausgeht, laufe ich lieber ein gemächliches Tempo und komme sicher ins Ziel – und an der Börse wahrscheinlich sogar unter den Top 10 % – 20%.

Beitragsfoto von Guillaume Jaillet on Unsplash

Weitere Informationen zum Thema

Mein Beitrag: Die versunkenen Kosten oder die emotionale Rechtfertigung von Fehlentscheidungen

Wikipedia: Der Dunning-Kruger-Effekt

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