Fairreguliert? Wie mit dem ETF-Riester von Raisin (ehemals Fairr) eine gute Idee durch Regulatorik zunichte geht

2013 wollten die Gründer von Fairr mit ihrem Produkt Fairr-ETF-Riester eine günstige und unkomplizierte Alternative zu den bereits verfügbaren Riester-Produkten schaffen. Ca. 8 Jahre später kämpft das Produkt, mittlerweile unter dem Namen Raisin Pension ETF-Riester, mit der gesetzlichen Beitragsgarantie, den Niedrigzinsen und jetzt zusätzlich auch noch mit der Reduzierung des Garantiezinses während der Rentenphase.

Aktien und Beitragsgarantie, das ist wie Tom und Jerry. Beim ETF-Riester gehören sie zusammen, kommen aber nicht wirklich miteinander klar. Die Gründer von Fairr versuchten trotzdem die Vorteile einer staatlichen Förderung mit den Vorteilen von günstigen ETF zu kombinieren. Und es scheint, als ob die Regulatorik den Namen Jerry trägt.

Seit ein paar Tagen können Neukunden keine neuen Verträge mehr abschließen. Aus diesem Anlass sprach ich mit dem Chief Investment Officer von Raisin Kim Felix Fomm über die aktuelle Situation beim ETF-Riester.

Gute Idee, schlechtes Umfeld

Riester hat bekanntlich nicht den besten Ruf. Aller Kritik zum Trotz war es mit dem richtigen Produkt in Kombination mit der staatlichen Förderung möglich, eine überdurchschnittliche Rendite zu erzielen. Das zeigt z.B. meine eigene Erfahrung mit einem Riester-Produkt auf Basis eines Fondssparplans.

Die ETF-Riester Lösung ist meines Erachtens die beste Möglichkeit, um von Riester zu profitieren. Nur das Umfeld dieser Lösung ist nicht optimal. Der größte Feind des mündigen Privatanlegers ist dabei die Beitragsgarantie.

Wer ein Formel 1 Rennen fährt, der hat die Ambition zu gewinnen. Formel 1 Rennen zu fahren, birgt Risiken und ab und zu kommt es leider auch zu Unfällen. Die Riester Garantie wirkt bei einem Formel 1 Fahrzeug wie eine kontinuierliche Safety Car Phase mit Geschwindigkeitsbeschränkung auf 50 km/h. Ich komme wahrscheinlich sicher ins Ziel, die Party ist aber schon lange vorbei.

Wer sich hierzulande entscheidet in ein Formel 1 Auto zu steigen (steht für ETFs bzw. Aktien), um mit guten Reifen (staatliche Förderung) das Rennen zu bestreiten, muss trotzdem wegen der Beitragsgarantie eine Geschwindigkeit von 50 km/h einhalten.

Dabei gibt es genug Alternativen für den sicherheitsbewussten Anleger. Man kann z.B. mit dem Bus fahren (klassische Rentenversicherung), kommt „sicher“ ans Ziel und der Anbieter hat auch etwas davon.

Also, wir versuchen mit einem Formel 1 Auto mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung ein Rennen zu gewinnen. Wie kann das gehen?

Von hinten durch die Brust ins Auge

Schauen wir uns zunächst an, wie das ohne Beitragsgarantie laufen würde:

ETF Depot auswählen, bis zum Ruhestand einzahlen, Depot einfach laufen lassen, Schwankungen ignorieren und am Ende von den tendenziell langfristig steigenden Märkten profitieren. Fertig ist die Laube.

Das Renditedreieck für den globalen Aktienmarkt zeigt eindrucksvoll, dass es in der Vergangenheit bei einem langfristigen Zeitraum nahezu unmöglich war, am Aktienmarkt keine positive Rendite zu erzielen.

Die Beitragsgarantie ist also eine Versicherung mit hohen Kosten für ein Risiko, das in der Vergangenheit über längere Zeiträume nie eingetreten ist.

Nun das Ganze mit Beitragsgarantie:

Ihr müsst jetzt ganz tapfer sein. Ich kann euch leider nicht ersparen etwas über Risikomanagement zu erzählen.

Stellen wir uns vor, du hast 10.000 € in dein Riester-Depot eingezahlt. Du planst in 20 Jahren in Rente zu gehen. Stellen wir uns weiter vor, dass dein Anbieter mit sicheren Anlagen 2% Rendite erwirtschaften kann.

Wenn du heute zu 2% knapp 6.730 € für 20 Jahre anlegst, dann bist du nach 20 Jahren bei einem Betrag von 10.000 €. Da dein Anbieter deinen Beitrag garantiert und er vom Gesetzgeber gezwungen wird dies zu jedem Zeitpunkt nachzuweisen, muss er die 6.730 € sicher anlegen. Sie stehen für die Aktienanlage daher nicht zu Verfügung.

Die restlichen 3.270 € können in den Aktienmarkt investiert werden.

Fällt wie die letzten Jahre der Zins für sichere Anlagen über die Zeit, dann können immer weniger Anteile in Aktien investiert werden. Bei 0% Rendite für sichere Papiere kann nach dieser Logik gar nichts mehr in den schwankenden Aktienmarkt investiert werden.

Infobox: Bestimmung der Aktienquote

Die Bestimmung der Aktienquote ist deutlich komplizierter als im obigen Beispiel beschrieben. Raisin nutzt die sogenannte CPPI-Strategie.  

Die Grundstruktur der Strategie ist wie im Beispiel beschrieben. Sie ist allerdings in Breite etwas umfangreicher. So fließt z.B. auch der Aktienanteil in Teilen als Sicherung ein, da ein weltweit gestreutes Portfolio praktisch nicht auf Null fallen kann, denn dann wären alle Unternehmen wertlos.

Bei Raisin fließen 4 individuelle Faktoren ein: Summe der Einzahlungen, aktueller Depotwert, Restlaufzeit und die erwartete Volatilität am Aktienmarkt auf Basis des Volatilitätsindex VIX.

Da der VIX ständig in Bewegung ist, tendiert die Strategie zu ständigen Umschichtungen.

Die tendenziell sinkenden Zinsen führen daher fortwährend dazu, dass immer weniger in den Aktienanteil investiert werden kann. Dies ist eine direkte Folge der Beitragsgarantie und der Vorgabe, die Kundenportfolios fortwährend abzusichern.

Die Lösung ist so einfach

Die Lösung für dieses Dilemma: Verzicht auf Beitragsgarantie.

Ich möchte als mündiger Bürger selbst entscheiden, ob ich die Beitragsgarantie haben möchte oder nicht. Ich möchte nicht für eine staatlich verordnete Versicherung zahlen, die ich nicht brauche und die den Anbieter zwingen, massiven und unnötigen Aufwand zu betreiben.

Wer Garantie haben möchte, der kann eine Rentenversicherung abschließen. Da steckt das Wort Versicherung schon im Namen.

Die aktuelle Situation bei Raisin ETF-Riester

Im März 2020 war es der Sutor Bank (dort liegen die Kundendepots von Raisin) laut eigener Aussage zwischenzeitlich nicht möglich, den sicheren Zins zu bestimmen. Dies führte dazu, dass sämtliche Depots von Aktien in sichere Anlagen umgeschichtet wurden. Wie wir heute wissen zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt.

Bei den Kunden kam das – verständlicher Weise – überhaupt nicht gut an. Es gab viel Kritik und auch Finanztip setzten seine Empfehlung für den Anbieter aus.

Die Sutor Bank implementierte mittlerweile mit CPPI ein individuelles Verfahren, um basierend auf den 4 Faktoren Summe der Einzahlungen, aktueller Depotwert, Restlaufzeit und die erwarteten Schwankungen am Aktienmarkt, die jeweiligen Portfolios den Marktgegebenheiten anzupassen.

Dieses ständige Hin und Her ist natürlich Gift für das Portfolio und führt zu beträchtlichen Transaktionskosten. Die Sutor Bank war aber aufgrund der Regulatorik gezwungen, stets die Beitragsgarantie nachzuweisen.

Mit der Ankündigung den Garantiezins (Höchstrechnungszins) von 0,9% auf 0,25% abzusenken kommt ein weiterer Faktor dazu, der laut Kim Felix Fomm dazu geführt hat, das Konstrukt des ETF-Riesters noch einmal neu zu überarbeiten.

Während der Ansparphase ist der Garantiezins für den ETF-Sparplan nicht relevant, da ja anders als bei der Rentenversicherung kein konkreter Rentenbetrag garantiert wird. Auch hat das Absenken keinen Einfluss auf die bestehende Beitragsgarantie.

Offensichtlich hat die Absenkung aber Einfluss auf den garantierten Rentenfaktor. Raisin garantierte mit ihrem Partner Mylife bereits beim Abschluss einen individuellen Rentenfaktor. Ein Rentenfaktor von 30 sagt z.B. aus, dass pro 10.000 € angesparten Kapital 30 € monatliche Rente ausbezahlt wird.

Die Absenkung des Garantiezins hat laut Kim Felix Fomm zur Folge, dass der Partner Mylife die Konditionen für den garantierten Rentenfaktor anpassen muss. Da diese Anpassung ein Genehmigungsprozess durchlaufen muss, wurde der Abschluss von Neuverträgen zunächst ausgesetzt. Laut Aussage von Kim Felix Fomm werden die Auswirkungen auf den garantierten Rentenfaktor gering sein.

Die leichte Absenkung des Rentenfaktor ist für mich weit weniger relevant, als die Pflicht zur Beitragsgarantie. Ein Vertrag mit Beitragsgarantie wird durch die aktuellen Niedrigzinssituation möglicherweise nur den eingezahlten Beitrag und die Zulagen angesammelt haben. Ohne Beitragsgarantie und mit Wirkung der Chancen am Aktienmarkt wäre mit großer Wahrscheinlichkeit nach 20 Jahren und mehr ein Vielfaches an Kapital angespart.

Der Hebel ist also weniger die Garantie während der Auszahlungsphase, sondern der Aufbau des Kapitals während der Sparphase. Dieser Hebel wird durch die Beitragsgarantie mächtig gestutzt.

Workarounds für den mündigen Anleger

Raisin bot seinen Kunden an, die Laufzeit auf 83 zu erhöhen, um die Aktienquote regulatorisch korrekt erhöhen zu können. Durch die längere Laufzeit wäre eine höhere Aktienquote möglich. Für den Kunden besteht die Möglichkeit, kurz vor der Rente die Laufzeit wieder zu reduzieren.

Eine zweite Möglichkeit war ein Kapitalübertrag durch einen erneuten Vertragsabschluss. Stellen wir uns vor der Kunde hat 10.000 € an Beitrag und Zulagen eingezahlt. Durch die Umschichtung zum schlechtmöglichsten Zeitpunkt liegt der aktuelle Wert bei 8.000 €. Durch Kapitalübertrag müsste der Anbieter nicht mehr die 10.000 € garantieren, sondern nur noch die 8.000 €. Damit wäre dann wieder eine höhere Aktienquote möglich.

Was auf den ersten Blick wie ein Nachteil für den Kunden aussieht, ist eigentlich ein Vorteil, da tendenziell wieder mehr in Aktien investiert werden kann.

Meine Anregung, diesen Kapitalübertrag bei jeder drohenden Umschichtung automatisiert umzusetzen, wollte Kim Felix Fomm prüfen. Dies würde faktisch mit Zustimmung des mündigen Anlegers die Beitragsgarantie aussetzen, wird aber wahrscheinlich an dem administrativen Aufwand scheitern.

So wird die Beitragsgarantie bis auf Weiteres die große Fessel für Anbieter und mündigen Anleger bleiben. In dieser Legislaturperiode wird das politisch heiße Eisen Riester-Rente sicherlich nicht mehr angefasst werden.

Fazit

Die Regulierung und hier insbesondere die Beitragsgarantie verhindert, dass ein vielversprechendes Produkt seine Wirkung zeigt.

Sowohl Anbieter als auch Anleger kämpfen mit der negativen Auswirkung.

Aktuell ist ein Neuabschluss für den Raisin ETF-Riester nicht möglich. Ob das Produkt unter den gegebenen Umständen eine Zukunft hat und weiter angeboten wird, bleibt abzuwarten.

Als Alternative bietet Raisin den ETF Rürup an. Bei Rürup ist die Beitragsgarantie nicht zwingend. Daher kann hier vollumfänglich von den Chancen am Aktienmarkt und der staatlichen Förderung profitiert werden.

In meinem Beitrag „Alter Schwede: Wie du mit der Rürup Rente eine Rente nach schwedischem Vorbild mit über 10% Rendite realisieren kannst“ habe ich die Vor- und Nachteile der Rürup-Rente beschrieben.

Schade, aber für einen Großteil unserer Politiker werden Aktien mit Spekulation und Casino gleichgesetzt. Während die Länder mit Staatsfonds wie in Norwegen oder Schweden immer mehr langfristige Beteiligung an die Welt-AG aufbauen und damit Rendite erwirtschaften, liegt das Ersparte der Deutschen zum Großteil fast unverzinst in Geldvermögen. Dies wird auch fleißig vom Staat gefördert.

Ich hoffe Raisin gelingt es, irgendwie das Produkt zu retten und eine attraktive Alternative zu schaffen. Ansonsten bleibt das was die meisten mündigen Anleger schon heute tun: Ohne staatliche Förderung in den Aktienmarkt investieren.

Beitragsfoto von Moritz Graf auf Unsplash

Mein Name ist Andree de Boer. Seit mehr als 20 Jahren beschäftige ich mich intensiv mit dem Thema Finanzen. In meinem Blog berichte ich über meine Erfahrungen.


Dabei ist mir über die Zeit aufgefallen, dass der Schlüssel zum Erfolg bei Geld und Finanzen nicht primär in irgendwelchen Finanzprodukten liegt.

Vielmehr sind es die eigene Einstellung und das Verhalten, die den Erfolg maßgeblich beeinflussen.

Deshalb konzentriere ich mich zunehmend auf das Thema Finanzcoaching, um Menschen in die Lage zu versetzen, produktunabhängig gute Finanzentscheidungen zu treffen.

Dazu habe ich eine professionelle Ausbildung zum FCM Finanzcoach absolviert.

Meine Dienstleistungen biete ich völlig produktunabhängig auf Honorarbasis an.

In meinem Blog berichte ich auch über eigene Erfahrungen mit konkreten Finanzprodukten. Dies stellt jedoch ausdrücklich keine individuelle Empfehlung dar.

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2 Gedanken zu „Fairreguliert? Wie mit dem ETF-Riester von Raisin (ehemals Fairr) eine gute Idee durch Regulatorik zunichte geht

  1. Fairr Riester ist nicht in Anleihen gegangen im Corona Crash. Sie sind komplett 100% in Bargeld gegangen. Selbst Anleihen hätte sich noch etwas erholt aber selbst das hat man verpasst. Komplettes Versagen der Sutor Bank war das. Fairr (jetzt Raisin Pension) hat auch erst nachträglich und Stück für Stück kommuniziert was ich jetzt auch nicht wirklich vertrauenserweckend fand..

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