Es wäre generell eine schöne Vorstellung. Die Künstliche Intelligenz (KI) könnte uns in der Zukunft helfen die richtige Anlageentscheidung zu treffen. Selbstlernende Algorithmen produzieren optimale Kauf- und Verkaufsentscheidungen und verfolgen individuelle Anlagestrategien.
Dieser Artikel beleuchtet wie das bei den bekannten Analysestrategien aussehen könnte und was das für den zukünftigen Handel von Wertpapieren bedeuten würde.
Grundsätzliches zur KI
Der Versuch den Begriff Künstliche Intelligenz (KI; oder Artificial Intelligence, AI) zu definieren stellt sich schon mal nicht als einfach heraus, da es doch eine große Breite bei dem Thema gibt. Für unsere Zwecke relevant sind zunächst folgende Definitionen:
Algorithmen durch Logik oder durch Daten
Bei selbstlernenden KI-Systemen formt sich der Algorithmus durch Daten, während er bei klassischen IT Systemen explizit programmiert wird. Ein einfaches Beispiel zeigt den Unterschied:
Ich möchte die mathematische Funktion f(x,y) = x+y abbilden.
Der Algorithmus wäre in einer klassischen Programmiersprache wie folgt umgesetzt:
Function f(x,y) = return x+y;
Bei einem selbstlernenden Algorithmus hätte ich die folgenden Trainings-Daten:
Eingabe 0,0 -> Ausgabe 0
Eingabe 0,1 -> Ausgabe 1
Eingabe 1,1 -> Ausgabe 2
Eingabe 1,2 -> Ausgabe 3
….
Ich trainiere das System (bzw. ein Modell z.B. neuronale Netze) mit diesen Inputdaten und das System wird durch diese Daten früher oder später die Funktion f(x,y) = x+y abbilden. Das selbe System könnte aber ohne Änderung auch auf die Funktion f(x,y) = 2x+y trainiert werden – sofern die Trainingsdaten diese Funktion abbilden.
Nun macht es sicherlich keinen Sinn für solche „Probleme“ einen selbstlernenden Algorithmus zu nutzen, da dies auf dem klassischen Weg viel schneller geht. Selbstlernende Algorithmen machen daher immer dann Sinn, wenn die Beziehung zwischen den Eingabedaten und Ausgabedaten nicht ohne weiteres im Vorfeld algorithmisch abbildbar sind oder bei großen Datenmengen, die ansonsten nicht mehr zu bewältigen sind und nach unbekannten Mustern gesucht werden soll (Deep Learning).
Technisch bildet ein selbstlernendes System eine mathematische Funktion in einen multi-dimensionalen Raum ab. Mit dem Training versucht man diese Funktion Schritt für Schritt so zu adjustieren (Backpropagation), dass sie möglichst viele Datenpunkte der Trainingsdaten abdecken kann. Je nach Qualität und Varianz der Trainingsdaten können dann zu neuen Eingabedaten mehr oder weniger gute Ausgabedaten „berechnet“ werden.
Überwachtes und unüberwachtes Lernen
Das Beispiel oben ist ein Beispiel für „überwachtes“ Lernen. Zu den jeweiligen Eingabedaten werden während des Trainings die Ausgabedaten vorgeben.
Beim „unüberwachten“ Lernen versucht das System selbständig Muster zu erkennen und die Eingabedaten zu kategorisieren.
Schwache KI und starke KI
Unter schwache KI versteht man Systeme, die für einen bestimmten Aufgabenbereich bestimmt und trainiert sind. Sie sind quasi die „Fachidioten“. Sie sind hervorragend in den Bereich in denen sie trainiert werden, versagen aber in allen anderen Bereichen. Beispiele sind Bilderkennung, Spracherkennung, etc.
Die starke KI wären Systeme, die wie ein Mensch verschiedene Wissensbereiche abdeckt und auf dieser breiten Basis zu guten Lösungen kommt. Das „wäre“ deutet schon an, dass es solche Systeme bisher noch nicht gibt.
Analyse-Bereiche
Um zu einer Entscheidung beim Handeln von Wertpapieren zu gelangen kann man sich verschiedene Analysemethoden bedienen. Wir behandeln hier die zwei gebräuchlichsten Analysemethoden und ergänzen sie um eine weitere Methode, die versucht das menschliche Verhalten bzw. die Stimmung mit einzubeziehen.
Technische Analyse / Chartanalyse
Bei der technischen Analyse oder Chartanalyse wird versucht anhand der historischen Kursentwicklungen Indikatoren zu erkennen, die auf eine zukünftige Kursbewegung schließen lassen. Da die Kurse immer das Ergebnis der Handlungen aller Marktteilnehmer sind wird versucht Muster für Ergebnisse dieser Handlungen zu erkennen. Mithilfe dieser Muster sollen dann die Indikatoren identifiziert werden, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eine Tendenz voraussagen können.
Da KI-Systeme Meister in der Mustererkennung sind und die Trainingsdaten (Charthistorien) in Fülle zur Verfügung stehen, wäre das eigentlich ein wunderbarer Anwendungsfall für KI-Systeme.
Für einen Erfolg solcher KI-Systeme müssen allerdings die folgenden Voraussetzungen gegeben sein:
- Es existieren Indikatoren, aus denen man systematisch aus einem historischen Verlauf einen zukünftigen Verlauf voraussagen kann.
- Man ist nur solange in der Lage diese Information auszubeuten, solange nicht auch andere Marktteilnehmer (z.B. andere KI-Systeme) diese Indikatoren identifizieren.
Sowohl die Eingabe- als auch Ausgabedaten würden sich aus den historischen Kursen von Wertpapieren ergeben.
Fundamentalanalyse
Bei der Fundamentalanalyse werden Fundamentaldaten (z.B. Geschäftsberichte) genutzt, um potentiell unterbewerte Unternehmen zu identifizieren und in diese zu investieren. Einem KI-System müssten in diesem Fall die Fundamentaldaten als Eingabedaten bereitgestellt werden und die historische Kursentwicklung der Unternehmen als Ausgabedaten. Das KI-System soll dann aus den Daten Muster (Indikatoren) erkennen, die bei einer Fundamentaldatenkonstellation eher zu steigenden oder zu fallenden Kursen tendieren.
Die Aufbereitung der Fundamentaldaten zu schlüssigen Eingabedaten ist sicherlich viel aufwändiger als die reine Nutzung von Kursdaten im Beispiel oben. Das System muss z.B. in Geschäftsberichten Muster erkennen und die relevanten Daten korrekt extrahieren.
Sentimentanalyse (Behavioral Finance)
Neben der technischen Analyse, der Fundamentalanalyse gibt es noch die Sentimentanalyse. Sie analysiert die Stimmung der beteiligten Marktteilnehmer. Nämlich uns als Menschen. Bekanntlich unterliegen wir als Mensch und als Marktteilnehmer irrationale Verhaltensmuster, die als Wissenschaftsgebiet Behavioral Finance (Verhaltensökonomie) untersucht werden. Mit der Sentimentanalyse wird versucht die allgemeine Stimmung zu erfassen und auf Basis dieser Stimmung Voraussagen bzgl. Marktbewegungen vorzunehmen.
Das sogenannte Put-Call-Verhältnis ist ein technischer (oder quantitativer) Indikator mit dem das Verhältnis von Put-Optionen (Verkaufsrecht) und Call-Optionen (Kaufrecht) ausgedrückt wird. Überwiegen die Verkaufsrechte, dann gehen die Markteilnehmer tendenziell von fallenden Kursen aus, überwiegen hingegen die Kaufrechte von steigenden Kursen.
Weitere eher qualitative Indikatoren sind Umfragen unter Anlegern, Tendenzen bei Börsenbriefen, allgemeine Medienberichte, etc.
Man könnte ein KI-System Eingabedaten wie Börsenbriefe, Medienberichterstattung, soziale Netzwerke, Foren, etc. füttern und die jeweilige Entwicklung der Wertpapiere danach auswerten und beide Datenmengen als Eingabedaten (Stimmungsdaten) und Ausgabedaten (Kursentwicklung) trainieren.
Es steht und fällt mit den Trainingsdaten
Die Trainingsdatenbeschaffung und die richtige Extrahierung der relevanten Daten sind die Grundvoraussetzung dafür, dass solche KI-Systeme überhaupt gute Vorhersagemodelle entwickeln können. Bei der technischen Analyse ist die Datenbeschaffung sicherlich am einfachsten.
Bei der Fundamentalanalyse wird es schon schwieriger, da neben strukturierten Daten möglicherweise auch unstrukturierte Daten erfasst werden müssen. Hier ist die erste Herausforderung schon diese unstrukturierten Daten überhaupt sinnvoll extrahieren zu können.
Bei der Sentimentanalyse ist die Erfassung durch eine schwierige Semantik sicherlich am aufwändigsten. Im ersten Schritt muss natürliche Sprache analysiert werden (Natural Language Processing) und dann müssen auch hier die relevanten Attribute extrahiert, um die Stimmung zu ermitteln und in Bezug zu den Entwicklungen der Wertpapiere gebracht werden. Wer schon einmal Sprachassistenten wie Siri oder Alexa genutzt hat, weiß eventuell vor welchen Herausforderungen wir bei der Sprachanalyse noch stehen. Alexa scheint zumindest bei mir nicht zu verstehen, wenn ich mit der Antwort nicht zufrieden bin…
Diese Systeme (oder in diesem Fall Fachidioten) könnten dann noch kombiniert werden, um z.B. bei einem einheitlichen Ergebnis (alle drei Systeme sagen auf ihrem Gebiet kaufen) Anlageentscheidungen zu treffen. In diesem Fall hätte man dann alle wichtigen Indikatoren abgedeckt:
- Marktautomatismen durch z.B. Risikomanagement und/oder Regulierung
- Fundamentaldaten als Indikator für die Wirtschaftlichkeit eines Unternehmen und
- Stimmungen und menschliches Verhalten (Behavioral Finance)
Fazit und Ausblick
Wenn es bereits KI-Systeme gibt, die in ihrem Bereich erfolgreich sind, dann werden wir wahrscheinlich nicht davon erfahren, da ansonsten über kurz oder lang das Verhalten imitieren werden könnte und damit den Vorteil dieses Systems nicht mehr gegeben ist.
Da die Börse auch mit KI-Systemen vor Kosten ein Nullsummenspiel ist, müssen auf der Gegenseite immer Verlierer stehen. Das können – sofern die KI-Systeme ihren Vorteil ausspielen – über kurz oder lang nur die aktiven Anleger sein.
Selbst wenn gar keine menschlichen Akteure mehr als aktive Anleger handeln, würde es ein „Krieg der KI-Systeme“ geben, da eben nicht alle gewinnen können. In diesem Fall wäre die Sentimentanalyse auch nicht mehr relevant und es würde der echte Homo (bzw. Robo) Oeconomicus die Preise an der Börse definieren.
Egal was zukünftig passiert. Für den passiven Anleger wird sich am Erwartungswert nichts ändern. Der passive Anleger möchte ja exakt die Marktrendite erzielen. Ob die Markpreise von menschlichen Akteuren oder von Maschinen gemacht werden spielt für den passiven Anleger keine Rolle. Wahrscheinlich wird der Robo Oeconomicus sogar für weniger volatile Märkte sorgen und damit die „irrationalen“ Handlungen reduzieren. Black Swan Ereignisse wie die Coronakrise werden auch der Robo Oeconomicus wahrscheinlich zukünftig nicht vorhersehen können.
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