Heute konsumieren und gleichzeitig fürs Alter vorsorgen: Belohne dich selbst

Wenn ich vor der Wahl stehe, mir entweder heute etwas zu gönnen oder später im Ruhestand, dann entscheiden sich viele für heute. Wie kann ich mir aber heute etwas gönnen und trotzdem dafür sorgen, dass ich auch im Ruhestand noch ein angenehmes Leben habe, ohne das Gefühl zu haben, auf etwas verzichten zu müssen? Dieser Beitrag beleuchtet wie beides gelingen kann.

Das Marshmallow-Experiment

Ein Kind sitzt vor einem Teller mit Süßigkeiten. Du verlässt den Raum und versprichst dem Kind die doppelte Menge an Süßigkeiten, wenn es nicht nascht und darauf wartet bis du wieder kommst.

Diese als „Belohnungsaufschub“ bezeichnete Situation wurde in einem sog. Marshmallow-Experiment untersucht. Das folgende Video zeigt die Reaktion der Kinder: Marshmallow Test mit Kindern!

Wenn es um Altersvorsorge geht, reagieren wir meist so wie das Kind am Ende des Videos. Während für das Kind 5 Minuten bereits eine Ewigkeit zu sein scheint, sind die Jahrzehnte bis zum Ruhestand für uns Erwachsene ein oft unvorstellbarer Zeitraum. Wir ziehen daher oft den sofortigen Konsum dem späteren vor – auch wenn der sofortige Konsum hohe Kosten für später bedeuten kann.

In der Verhaltensökonomie wird das Verhalten als „zeitinkonsistente Diskontierung“ bezeichnet und mit folgendem Beispiel beschrieben:

Werden Personen vor die Wahl gestellt, entweder € 50 heute oder € 100 in einem Jahr zu bekommen, werden sich viele für ‚€ 50 heute’ entscheiden. Wird ihnen hingegen angeboten, € 50 in 5 Jahren oder € 100 in 6 Jahren zu bekommen, werden fast alle die € 100 in 6 Jahren bevorzugen, obwohl dies genau die gleiche Entscheidung wie im ersten Fall darstellt – nur eben 5 Jahre später.

Quelle: http://www.anlegercampus.net/geld-anlegen-ohne-wetten/1-fehler-erkennen-fehler-abstellen-ein-ueberblick/behavioral-finance-die-wichtigsten-psychologischen-fallen/#object_6

Übertragen wir das Marshmallow-Experiment auf unser Verhalten, können wir uns das so vorstellen: Wir sitzen vor 6 Marshmallows. Wir stehen jetzt vor der Wahl 5 sofort zu verputzen und 1 für die Zukunft wegzulegen. Entscheiden wir uns dafür einen wegzulegen, so werden wir auch im Ruhestand 5 Marshmallows auf dem Teller liegen haben und damit unseren Lebensstandard halten. Verputzen wir alle 6, werden wir im Ruhestand möglicherweise nur 2 oder 3 auf dem Teller haben und uns einschränken müssen.

Unser Verhalten überlisten

Viele wissen mittlerweile, dass sie etwas für ihre Altersvorsorge machen müssen, kommen aber irgendwie nicht ins Handeln. Oft aus dem Grund, dass das Unterbewusstsein die späte Belohnung geringer gewichtet als die sofortige Belohnung in Form von Konsum.

Sich mit einem Thema auseinanderzusetzen welches erst in vielen Jahren relevant wird und man sich nie ganz sicher sein kann, ob man dies überhaupt erleben wird, ist wenig motivierend.

Wie kann also die Motivation gesteigert werden? Dazu muss zunächst die Frage beantwortet werden was uns denn motiviert. Wenn es ums Sparen geht, dann motivieren uns das kurz- oder mittelfristige Ansparen für einen Urlaub oder ein neues Auto sicherlich mehr als das „Ansparen“ für den Ruhestand. Der Urlaub und das neue Auto sind einfach greifbarer und liegen nicht in allzu ferner Zukunft.

Warum also nicht beide Ziele in eine Aktion verbinden? Statt also das kurz- und mittelfristige Sparen als eine Aktion zu sehen und den Vermögensaufbau für den Ruhestand als eine andere Aktion, können beide Aktivitäten gedanklich zusammengelegt werden.

Wir machen uns hier einen zweiten Aspekt der Verhaltensökonomie einfach zunutze: Die mentale Buchführung (Psychological Accounting bzw. Mental Accounting).

150 für mich und 50 für das zukünftige Ich: Sparen & Investieren kombiniert

Im Normallfall trennen wir das Sparen für kurz- oder mittelfristige Anschaffungen mental vom Vermögensaufbau. Das Sparen für kurz- oder mittelfristige Anschaffungen erfolgt oft auf dem Sparbuch oder Tagesgeldkonto während Vermögensaufbau über Lebensversicherungen, Fonds, ETFs oder anderen Produkten erfolgt.

Für unser Vorgehen heben wir diese mentale Trennung auf.

Wir nutzen mental eine Rate für kurz-, mittel- und langfristige Anlagen.

Stellen wir uns Sybille vor. Sybille verdient ausreichend, hat keine Schulden und mindestens 3 Monatsgehälter für Unvorhersehbares zurückgelegt. Sie hat nach Abzug ihrer Lebenshaltungskosten monatliche 200 € übrig. Sybille ist jung und möchte ihr Leben genießen. Sie weiß zwar, dass sie sich eigentlich auch um die Altersvorsorge kümmern muss, aber das ist ja noch weit entfernt und mit so trockenem Stoff wie Anlagemöglichkeiten möchte sie sich (noch) nicht auseinandersetzen.

Sybille spart mental 150 € für den Urlaub oder andere Anschaffungen und 50 € legt sie für später zurück. Da sich Sybille noch nicht mit langfristigen Anlagemöglichkeiten auseinandergesetzt hat, landen die 50 € auf einem separaten Tagesgeldkonto.

Mental unterteilt Sybille die Sparrate in 150 € für kurz- und mittelfristige Anschaffungen und 50 € für langfristiges Sparen.

Jetzt wechseln wir die mentale Sicht auf die 200 €. Sie sieht die 200 € als Sparrate für zukünftigen Konsum. Sie unterscheidet aber mental nicht mehr zwischen Sparen und Altersvorsorge, sondern setzt sich einfach ein Ziel wieviel sie nach einem Jahr von ihrem Ersparten für Anschaffungen nutzen möchte.

Pro Jahr möchte sie 1.800 € für Anschaffungen entnehmen.

Durch Änderung der Perspektive mehr herausholen

Schauen wir uns dafür drei Szenarien an:

Im ersten Szenario handelt Sybille wie viele, die sich noch nicht mit der Altersvorsorge auseinandergesetzt haben. Sie spart 150 € für den baldigen Konsum und legt 50 € für später aufs Tagesgeldkonto.

Im zweiten Szenario hat sich Sybille eine kompetente Honorarberatung geleistet. Sie setzt für den Altersvorsorge-Anteil voll auf die Renditechance des Aktienmarkts. Sie legt die 50 € zu 100% in einen weltweiten ETF an.

Im dritten Szenario trennt Sybille die 200 € gedanklich nicht. Sie möchte pro Jahr 1.800 € entnehmen. Das was übrig bleibt, wird für ihre Altersvorsorge investiert. Die Entnahmerate bestimmt dabei den Anteil der risikoarmen Anlage (hier konkret das Tagesgeld). In unserem Fall also 75%. Die restlichen 25% werden in einen Welt-ETF gesteckt. Durch die jährliche Entnahme wird der Anteil wieder auf 75% risikoarm (Tagesgeld) / 25% risikobehaftet (ETF) gebracht.

Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung bei einer monatlichen Einzahlung von 200 €, auf Basis der historischen Werte des MSCI ACWI IMI von Dezember 1998 bis August 2020. Beim Tagesgeld gehen wir aus Einfachheit von einem Zinssatz von 0% aus.

 Guthaben risikoarmGuthaben risikobehaftetEntnahmenGesamt
Szenario 114.400 € 37.800 €52.200 €
Szenario 2 30.439 €37.800 €68.239 €
Szenario 313.763 €4.502 €37.800 €56.065 €

Mitdem Szenario 2 holt Sybille das Meiste heraus. Sie muss aber auch in der Lage sein, die Schwankungen zu ertragen, da sie den Vorsorgeanteil zu 100 % in den Aktienmarkt gesteckt hat.

Beim Szenario 3 hingegen, wurde durch die jährliche Entnahme immer wieder der Anteil 75% risikoarm und 25% risikobehaftet hergestellt.

Das hat folgende psychologische Vorteile:

  • Gewinne am Aktienmarkt können „konsumiert“ werden, da die Entnahme überproportional aus dem risikobehafteten Anteil erfolgt.
  • Bei Verlusten  am Aktienmarkt erfolgt die Entnahme überproportional aus dem risikoarmen Anteil. Es ist stets sichergestellt, dass Entnahmen getätigt werden können. Selbst bei stark sinkenden Kursen.
  • Gewinne aus dem Aktienmarkt werden über die Zeit sukzessive in den risikoarmen Anteil verschoben und damit „gesichert“. Dies erfolgt zu Lasten der Gesamtrendite, reduziert aber spürbar die Schwankungen.

Fazit

Natürlich ist Szenario 2 die Variante mit dem langfristig höchsten Erwartungswert und wäre generell vorzuziehen.

Als psychologische Hilfe für den Einstieg in die Aktienanlage und fürs „ins Handeln kommen“, könnte aber Szenario 3 eine gute Alternative sein. Sieht man die 50 € als separaten Betrag für die Altersvorsorge so gibt es keine kurzfristige Belohnung dafür. Werden diese Beträge gedanklich nicht getrennt, profitiert man von den regelmäßigen Entnahmen und hat bei steigenden Märkten das Gefühl direkt davon zu profitieren.

Wird über die Zeit der Betrag erhöht, dann führt das bei gleichbleibender Aufteilung ganz automatisch zu einer höheren Entnahme (Belohnung) und gleichzeitig zu mehr Einzahlung in die Altersvorsorge.

Beitragsfoto von Jessica Ruscello on Unsplash

Mein Name ist Andree de Boer. Seit mehr als 20 Jahren beschäftige ich mich intensiv mit dem Thema Finanzen. In meinem Blog berichte ich über meine Erfahrungen.


Dabei ist mir über die Zeit aufgefallen, dass der Schlüssel zum Erfolg bei Geld und Finanzen nicht primär in irgendwelchen Finanzprodukten liegt.

Vielmehr sind es die eigene Einstellung und das Verhalten, die den Erfolg maßgeblich beeinflussen.

Deshalb konzentriere ich mich zunehmend auf das Thema Finanzcoaching, um Menschen in die Lage zu versetzen, produktunabhängig gute Finanzentscheidungen zu treffen.

Dazu habe ich eine professionelle Ausbildung zum FCM Finanzcoach absolviert.

Meine Dienstleistungen biete ich völlig produktunabhängig auf Honorarbasis an.

In meinem Blog berichte ich auch über eigene Erfahrungen mit konkreten Finanzprodukten. Dies stellt jedoch ausdrücklich keine individuelle Empfehlung dar.

Nimm mit mir Kontakt auf oder buche online ein kostenloses Erstgespräch. Wir finden heraus, wie ich Dir helfen kann.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert